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Skandal im Schlachthaus

Im Oktober 2007 rücken in den frühen Morgenstunden Staatsanwälte des Bochumer Wirtschaftsdezernats, Kriminalbeamte aus Düsseldorf sowie Zoll- und Steuerfahnder in den Schlachthöfen und Büros bei B. & C. Tönnies Fleischwerk GmbH & Co. KG im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück an, wo pro Jahr rund 10 Millionen Schweine und 78.000 Rinder geschlachtet werden. Nichts Neues für Firmeninhaber Clemens Tönnies, der mit seinen Betrieben drei Milliarden Euro im Jahr umsetzt und rund 4000 Mitarbeiter beschäftigt. Der deutsche Fleischbaron bleibt entspannt; in den vergangenen Jahren standen er und sein Unternehmen mehrfach im Visier der Fahnder – meist wegen des Verdachts der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern und Lohndumpings.

Diesmal geht es jedoch nicht nur um Schwarzarbeit. Tönnies-Fleisch soll Hackfleisch mit einem zu geringen Rindfleischanteil vertrieben haben. Den Abnehmern sei dadurch ein Schaden in Millionenhöhe entstanden. Außerdem soll die Firma die rund 18.000 Landwirte beim Wiegen des angelieferten Schlachtviehs betrogen haben. Der gelernte Metzger Tönnies, der laut eigener Aussage selbst nie ein Kälbchen töten könnte, sieht die aktuelle Attacke der Fahnder allerdings als Racheakt eines von ihm im Mai 2005 gefeuerten Managers, Richard Wieck. Dieser hatte nach seinem Rauswurf bei Tönnies beim Konkurrenten, der holländischen Vion Food Group, angeheuert. Die Holländer um Vion, so Tönnies, wollten ihn „fertigmachen”, um sein Unternehmen aufzukaufen. Ein Übernahmeangebot von Vion über 1,3 Milliarden habe man ihm erstmals im Düsseldorfer Parkhotel unterbreitet. Da könne es kein Zufall sein, wenn Wieck bei Vion auf der Gehaltsliste stehe.
Die komplizierten Hintergründe des Fall Tönnies haben längst den Charakter eines aufregenden Wirtschaftskrimis angenommen. Denn es geht nicht nur um ein paar Gramm Rind mehr oder weniger im Hack, es geht wohl auch um die Macht im Fleischgeschäft.

Richard Wieck, dessen Aussagen das bislang umfangreichste Ermittlungsverfahren in der Fleischbranche ausgelöst hat, und der als Hauptbelastungszeuge gilt, wird im März 2009 in einem Hotel in Garrel tot aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die die Todesursache ermittelt, kommt zu dem Ergebnis, dass kein Fremdverschulden vorliegt. Allerdings wirft ein weiteres toxikologisches Gutachten erneut Fragen auf. Das Institut für Rechtsmedizin in Köln, das das Gutachten fertigt, stellt eine extrem hohe Konzentration des Schwermetalls Cadmium im Blut des Verstorbenen fest.

Nach rund drei Jahren sind im November 2009 die Ermittlungen wegen zahlreicher Vorwürfe wie Schwarzarbeit, Verkauf von Gammelfleisch und gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs abgeschlossen. Es sei nun Anklage wegen Betruges gegen Clemens Tönnies und zwölf seiner früheren und jetzigen Mitarbeiter vom Landgericht Essen erhoben worden, teilt die Ermittlungsbehörde mit. Nach Angaben des Unternehmens seien 23 der ursprünglich 24 Vorwürfe bereits ausgeräumt worden. Zu Einzelheiten der Anklage wollen sich weder das Unternehmen noch die Staatsanwaltschaft äußern.
Das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Strafbefehl und ein Jahr auf Bewährung einzustellen, lehnt Tönnies ab. Der zweitgrößte deutsche Fleischhersteller, der auch Aufsichtsratschef von Schalke 04 ist und dessen Produkte unter den Markennamen Tillman´s und Landdiele in Discountläden wie Aldi und Lidl, aber auch in Rewe-Geschäften in den Regalen liegen, will nicht als vorbestraft gelten: „Meine Kunden sind so sensibel.“
Und weitere Ermittlungen folgen: Die Staatsanwaltschaften Oldenburg und Bielefeld ermitteln wegen des Verdachts auf Bestechung und Steuerhinterziehung gegen Subunternehmer von Tönnies. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollen die Unternehmen Schmiergeldzahlungen an Tönnes in Millionenhöhe als Betriebsausgaben deklariert haben. Die Schmiergelder sollen gezahlt worden sein, um von Tönnes bevorzugt Werkverträge für Billiglohnkräfte zu erhalten. Gegen Clemens Tönnies selbst oder seine Mitarbeiter wird nicht ermittelt. Aber Fragen bleiben offen. Haben Subunternehmer tatsächlich Bestechungsgeld gezahlt, um einen Vertrag bei Tönnies zu bekommen? Ist also irgendjemand bei Tönnies bestechlich gewesen? Tönnies verweigert hierzu jede Stellungnahme.
Zumindest verdankt das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen dem Skandal rund um Tönnies die Sonderkommission „FISH“. Es handelt sich keineswegs nur um Fahnder-Humor, einen Fleisch-Skandal mit diesem Namen aufzuklären. Der irreführende Kunstname steht für „fraud in slaughterhouse“ – Betrug im Schlachthaus. Oder hat das LKA den Codenamen gewählt, weil es um die Zielperson Tönnies ging, der ja auch ein „dicker Fisch“ ist?


Quellen: Report Mainz (ARD), Welt online, Der Westen, Süddeutsche.de, Focus Magazin, taz.de, RP online